L. Viallet: Sorcières! La Grande Chasse

Cover
Titel
Sorcières! La Grande Chasse.


Autor(en)
Viallet, Ludovic
Erschienen
Paris 2013: Armand Colin
Anzahl Seiten
221 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Kathrin Utz Tremp, Staatsarchiv Freiburg

Die Rezensentin hat das vorliegende Buch mit der Frage angegangen, ob es geeignet sei, das nunmehr 27 Jahre alte Buch von Brian P. Levack, La grande chasse aux sorcières en Europe aux débuts des temps modernes, Seyssel (trad. française), 1991 (éd. originale The Witch-Hunt in Early Modern Europe, 1987) als Einführungswerk zu ersetzen. In dieser Zeit hat sich in der Hexenforschung sehr viel getan, nicht nur in Bezug auf die neuzeitlichen Hexenverfolgungen, sondern auch in Bezug auf ihre mittelalterlichen Anfänge. Dies ist dem Autor des vorliegenden Buchs, seines Zeichens «maître de conférences» für mittelalterliche Geschichte an der Universität Blaise-Pascal (Clermont-Ferrand II) und Spezialist für Bettelorden und Observanz, keineswegs entgangen; er hat die neuen Ansätze durchaus aufgenommen, aber es gelingt ihm nicht, sie in ein System zu bringen. Der Aufbau des Buches bleibt unklar, er wird auch nirgends erklärt. Das Buch gliedert sich in zwei Teile, von denen der ersten Teil mit «Cauchemar – Le complot diabolique» betitelt ist, der zweite Teil mit «Réalités – La construction de la vérité». Die beiden Teile gliedern sich in je drei Kapitel, die durchnummeriert sind: Chap. 1: Même les sorcières ont une histoire; 2. Fantasmes et cauchemars de clercs: la secte satanique, une anti-Eglise; 3. Angoisse individuelle et psychose collective: le sorcier, un criminel social; 4. Les terrains de la traque: un phénomène européen; 5. De la fama au bûcher: la machine infernale; 6. Sortir du cercle vicieux: le problème de la croyance. Im ersten Kapitel geht der Autor auf die «préhistoire de la chasse aux sorcières» ein, die unbestritten im Kampf gegen die Häresie besteht, doch kennt er die wichtigsten Häresien des Hoch- und Spätmittelalters, nämlich die Katharer und die Waldenser, zu wenig (das Wenige, was er darüber schreibt, hat auf nicht einmal zwei Seiten, 25–26, Platz). Dagegen verfolgt er eher den Weg der Beginen und der «Sekte» vom Freien Geist, von der man seit langem weiss, dass sie zwar allenfalls eine Häresie, aber ganz sicher keine zusammenhängende Sekte war. Vor allem aber führt er die mittelalterliche noch vorwiegend kirchliche Inquisition nicht ein, die ganz entschieden im Kampf gegen die Häresien entstanden ist und die sich dann, einmal vorhanden, in den Hexenverfolgungen ein neues Feld suchte – und fand. Der Autor handelt die Inquisition erst im fünften Kapitel ab, zusammen mit den weltlichen Gerichten, welche die Verfolgungen insbesondere in der frühen Neuzeit übernahmen, aber vorher fehlt sie allenthalben, gerade weil man sich weder Häresie- noch Hexenverfolgungen ohne Folter vorstellen kann. Die Schilderung des Übergangs vom akkusatorischen zum inquisitorischen Verfah-ren, die er im 2. Kapitel gibt, reicht nicht aus, um die Inquisition zu ersetzen. Der Autor weiss, dass die Hexerei ein «kumulatives» Verbrechen ist, aber er kennt die Geschichte diese «kumulativen Konzepts» offensichtlich nicht. Dieses geht auf den Altmeister der Erforscher der Hexenverfolgungen, Joseph Hansen (1862–1943), zurück, und hätte es dem Autor unter Umständen erlaubt, die einzelnen Bestandteile des «kumulativen Verbrechens» zu verfolgen. Dagegen hat er sehr wohl gesehen, dass sich an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert die Geschichte gewissermassen beschleunigt, nicht zuletzt wegen der Pest, dem Schisma, dem 100jährigen Krieg, dem demographischen Rückgang und den Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Dabei hat er auch die Rolle des Hussitismus, der vor allem in der Zwischenkonzilszeit bedrohliche Formen annahm und die von der orthodoxen katholischen Kirche gespendeten Sakramente in Frage stellte, richtig eingeschätzt. Es entwickelte sich hier eine absolute Häresie, die letztlich in einer Umwertung aller Werte bestand. Diese entstand in den Alpen, wobei der Autor mit dem den Hexenforschern wohlbekannten Alpenstereotyp relativ unkritisch umgeht. Er stützt sich dabei auf die Forschungen von Pierrette Paravy über die Dauphiné, doch schenkt er dem Faktum, dass diese Landschaft ein «gelobtes Land» der häretischen Waldenser war, wesentlich weniger Bedeutung als der Tatsache, dass die Hexenverfolgungen sich hier auch aus der recht weit verbreiteten populären Magie ableiten lassen, die insbesondere von Frauen ausgeübt wurde. Dies erlaubt ihm auch ein Seitenblick auf die Hexenverfol-gungen im heutigen Afrika, wo der soziale Wandel und die Globalisierung und insbesondere auch die intensive Missionierung durch evangelikale Kirchen neue Hexenverfolgungen hervorbringen.

Im zweiten Teil wird ein Überblick über die Hexenverfolgungen in Europa in der frühen Neuzeit gegeben, wo der Autor klar zwischen Zentrum (Frankreich, Deutsch-land, Norditalien) und Peripherie (Britannien, italienische und spanische Halbinsel, Skandinavien) unterscheidet. Hier hing die Intensität der Hexenverfolgungen von zwei Faktoren ab: zum einem von der Verbreitung der Sabbatvorstellung und zum andern von den juristischen Verfahren (Einsatz der Folter, Möglichkeit des Appels an eine übergeordnete Gewalt). Erst hier schildert der Autor denn auch die «höllische Maschine», wie wir bereits bemerkt haben, viel zu spät. Trotzdem versteht man nicht ganz, warum er im 6. Kapitel wieder ins Mittelalter zurückkehrt und auf die «Unterscheidung der Geister» zu sprechen kommt. Ganz allgemein nimmt er es mit der Chronologie nicht allzu genau und springt leicht zwischen Mittelalter und früher Neuzeit hin und her, obwohl es gerade bei der Erforschung der Hexenverfolgungen nicht selten – gerade an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert – auf eine äusserst präzise Chronologie ankommt. Die Literatur wird zwar reichlich benutzt, aber nicht selten im Text selbst ausgewiesen; der Autor macht keine Anmerkungen und gibt in der Bibliographie nur die allerwichtigsten Werke. Alles in allem handelt es sich eher um einen Essai für Fortgeschrittene als um eine Einführung für Anfänger.

Zitierweise:
Kathrin Utz Tremp: Rezension zu: Ludovic Viallet, Sorcières! La Grande Chasse, Paris, Armand Colin, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 493-495.

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